Foodie-Trend! Hyper-lokale und gesammelte Zutaten aus Dalmatien und Istrien auf dem Teller
Inhaltsverzeichnis
- Die Rückkehr des vergessenen Luxus
- Globale Trends und der kroatische Kontext
- Wilde Kräuter: Düfte der Vergangenheit in der modernen Küche
- Vergessene Früchte: Kumquat, Elsbeere und Maulbeere
- Mittelmeergewürze: von Myrte bis Raute
- Queller: das Unkraut des Meeres wird zur Delikatesse
- Vom Feld zum kulinarischen Ruhm
- Sammeln als anthropologisches Ritual
- Nachhaltigkeit
- Zurück in die Zukunft
- Gastro-Trend
Wenn wir heute über Luxus in der Gastronomie sprechen, geht es immer weniger um importierten Kaviar oder seltenen französischen Wein, sondern mehr um das, was direkt vor unserer Haustür wächst, verborgen in den Adern des Bodens und den Untiefen des Meeres. Dalmatien und Istrien, zwei Regionen, die sich in vielerlei Hinsicht unterscheiden, aber in ihrer mediterranen Verwandtschaft verbunden bleiben, sind zu Epizentren einer neuen kulinarischen Bewegung geworden: die Rückkehr zu wilden Kräutern, vergessenen Obstsorten und Gewürzen. Der Trend, den die Welt "Foraging" nennt, erhält hier eine spezifische, fast mystische Bedeutung — denn hinter jedem Blatt und jeder Wurzel verbirgt sich eine Schicht von Kultur, Erinnerung und Geschichte.

Die Rückkehr des vergessenen Luxus
Der verfeinerte Hedonismus des 21. Jahrhunderts basiert paradoxerweise nicht auf exklusiven importierten Delikatessen, sondern auf den kleinen Geschenken der Natur, die unsere Großeltern täglich konsumierten, oft aus schierer Notwendigkeit. Heute, befreit vom Kontext der Armut, repräsentieren diese Zutaten Luxus, gerade weil sie Wissen, Geduld und Sensibilität erfordern.
Michelin-Köche in Istrien und Dalmatien — von Rovinj bis Hvar — setzen zunehmend auf ihren Menüs, was vor zwanzig Jahren noch als Essen der Hirten, Arbeiter oder Fischer galt. Auf den Tellern sehen wir nun Queller, die aromatische Küstenpflanze, die auf unnachgiebigen Felsen wächst; wilder Spargel, bitter und grün, der den Gaumen für den Frühling öffnet; und Immortelle, deren florale Bitterkeit die Ästhetik der Parfümindustrie mit den Noten eines Gerichts verbindet.
Globale Trends und der kroatische Kontext
In den letzten zehn Jahren hat die globale Gastronomie ihre Türen für Wildpflanzen geöffnet. René Redzepi von noma hat die gesamte neue nordische Küchenbewegung ins Leben gerufen, bei der sogar Moos zu einer Delikatesse erhoben wurde. Im adriatischen Kontext stellen Queller und Kumquat unsere eigene Antwort auf diese globale Welle dar: Was für die Skandinavier Kiefernnadeln sind, ist für uns die widerstandsfähige Pflanze, die den Jugo-Winden trotzt.
Heute nehmen immer mehr kroatische Restaurants und kleine Produzenten (OPGs) den Begriff hyper-lokal an. Das bedeutet nicht einfach "heimisch", sondern etwas, das untrennbar mit dem Ort verbunden ist. Queller aus Komiža ist nicht dasselbe wie Queller aus Hvar — denn Salz, Felsen und Mikroklima prägen den Geschmack. Dasselbe gilt für Kumquats aus Konavle oder jene aus Lošinj. Auf diese Weise wird Essen nicht nur zu einem Rezept, sondern zu einer geografischen Geschichte auf dem Teller.

Wilde Kräuter: Düfte der Vergangenheit in der modernen Küche
Die wilden Kräuter Dalmatiens und Istriens sind nicht nur gastronomische Ressourcen, sondern auch kulturelles Gedächtnis. In Volksmärchen, Liedern und sogar religiösen Ritualen begegnen wir den Pflanzen, die den Rhythmus des Alltagslebens prägten. Wilder Spargel war zum Beispiel nicht nur Nahrung: Das Sammeln war ein soziales Ritual. Im frühen Frühling gingen Familien in die Natur, und die Fähigkeit, die schlanken grünen Triebe zu finden, war ebenso praktisch wie zeremoniell. Neben Spargel wurde in Dalmatien der Speierling (oskoruša) lange geschätzt, seine Blätter und Früchte sowohl in der Küche als auch in der Volksmedizin verwendet. Salbei — das Symbol Dalmatiens — war nie nur ein Tee oder ein Gewürz, sondern auch eine heilige Pflanze. Die Alten glaubten, dass Salbeirauch einen Raum von bösen Geistern reinigt, während Salbeihonig als Heilmittel für alle möglichen Beschwerden angeboten wurde.
In Istrien nimmt die Flora eine etwas andere Richtung: wilder Knoblauch ist in den letzten zehn Jahren ein Hit geworden, obwohl er seit Jahrhunderten als natürliches Antibiotikum und Vitaminquelle verwendet wird. Wilde Rauke, mit ihrer nussigen Intensität, wurde einst oft auf verlassenen Weiden gepflückt, während sie heute ein Stolz der gehobenen Gastronomie ist.
An der Grenze zwischen Gastronomie und Pharmakopöe liegt Immortelle — die “Blume, die nie verblasst,” so ewig wie die mediterrane Philosophie selbst. Heute wird eine kleine Flasche luxuriöser Kosmetik für Hunderte von Euro verkauft, während Arbeiter von einst sie täglich sammelten und in Olivenöl oder Brandy einlegten.

Vergessene Früchte: Kumquat, Elsbeere und Maulbeere
Ein besonderer Aspekt dieser Geschichte gehört den Früchten. Während der heutige Verbraucher an das standardisierte Bild eines Apfels oder einer Birne gewöhnt ist, verbergen Dalmatien und Istrien eine ganze Taxonomie vergessener – oft fast ausgestorbener – Obstsorten.
Die Elsbeere, einst ein Grundnahrungsmittel in den Dorfhöfen, ist heute als „die verschwindende Frucht“ bekannt. Ihre überreifen Herbstfrüchte, einst von Kindern gesammelt, haben eine spezifische, leicht fermentierte Note, die sich perfekt für Marmeladen oder Brände eignet. Die Maulbeere, die einst nicht nur Menschen, sondern auch Seidenraupen ernährte, ist fast vollständig verschwunden, obwohl ihre süßen, leicht säuerlichen Beeren synonym mit der Kindheit der dalmatinischen Hinterländer waren.
An der Küste, in Blato auf Korčula oder Mljet, wächst die Kumquat – eine Zitrusfrucht von Miniaturmaßen, ein Maskottchen des Mikro-Mittelmeerklimas. Seit Jahrhunderten waren Kumquats eine exotische Ergänzung zu Desserts und Bränden, und heute erleben sie eine Renaissance als raffinierte Aperitiffrucht oder Dessertgarnitur.
In Istrien wird der Kult der Kornelkirsche wiederbelebt, deren rote Beeren noch immer für Liköre und Marmeladen verwendet werden, mit Spuren des Anbaus, die bis zu antiken Villen zurückreichen.
Mittelmeergewürze: von Myrte bis Raute
Die kulinarische Landkarte Dalmatiens und Istriens endet nicht bei Feigen und Rosmarin. Es gibt auch Gewürze, die heute fast aus dem täglichen Gebrauch verschwunden sind, aber jahrhundertelang den Geschmack der Region prägten.
Myrte ist ein Beispiel. Ihre Beeren werden in Likören auf Sardinien und Korsika verwendet, aber auch in der dalmatinischen Tradition, wo ihre duftenden Zweige sowohl Reinheit als auch Eros symbolisierten. Myrtenliköre, die noch immer handgefertigt in Konavle oder auf Brač hergestellt werden, beschwören die Atmosphäre antiker Feste herauf.
Raute, einst in der Volksmedizin zur Stärkung des Magens verwendet, kehrt heute in der Mixologie moderner Cocktails zurück. Ihre Bitterkeit balanciert perfekt die heutigen Gin Tonics aus und schafft eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Wir sollten wilden Fenchel nicht vergessen, der entlang von Trockenmauern und Feldrändern gesammelt wird. Obwohl eine bescheidene Pflanze, hat sie eine doppelte Geschichte: zugleich Nahrung und Medizin, zugleich ein subtiler Duft und ein starkes Verdauungsmittel.
Queller: das Unkraut des Meeres wird zur Delikatesse
Queller ist reich an Vitamin C, was ihn einst fast zu einem Medikament machte: Seeleute führten ihn auf langen Reisen mit, um Skorbut zu verhindern. Heute, im Zeitalter der Superfoods, wurde er von Chia und Spirulina überschattet — aber Köche kehren zu ihm zurück, gerade weil er den unverwechselbaren Stempel des Ortes trägt.
Auf der Insel Vis probieren Touristen ihn in Form von eingelegten Salaten, während gehobene Restaurants in Zagreb einen Schritt weiter gehen — ihn als Schaum, Pulver oder Öl-Emulsion servieren. Sein unverwechselbarer Geschmack — eine Mischung aus Meer, Zitrone und jungem Kiefer — passt hervorragend zu Weißweinen wie Pošip oder Grk.
Aber vielleicht versteht man das wahre Wesen des Quellers am besten, wenn man ihn roh, direkt von den Felsen isst. Dieser “primitive Luxus” zieht uns zurück zum Elementaren — so wie Kierkegaard vom Individuum sprach, das sich selbst gegenübersteht, konfrontiert uns der Queller mit einem Geschmack, der sich der Verfeinerung widersetzt, aber gerade durch seine Rauheit verführt.

Vom Feld zum kulinarischen Ruhm
Eine der stärksten Dimensionen dieser Rückkehr zu lokalen und gesammelten Zutaten ist ihre Einbindung in die Haute Cuisine. Restaurants in Dalmatien und Istrien, insbesondere solche mit Michelin-Sternen, kreieren narrative Menüs, die Terroir mit Innovation verweben. In Dubrovnik kann man zum Beispiel Thunfisch-Carpaccio probieren, das mit Kapernblüten und Queller-Emulsion gewürzt ist. In Istrien ist der weiße Trüffel nicht mehr der alleinige König – er wird oft mit wildem Rucola oder cremigen Basen aus wildem Knoblauch kombiniert. Was gestern noch „Arme-Leute-Essen“ war, ist heute ein Zeichen für ökologisches Bewusstsein, Nachhaltigkeit und verfeinerten Geschmack. In den Worten eines jungen Sommeliers aus Rovinj: „Unser Terroir ist nicht nur Wein und Oliven. Es sind auch all diese wilden Aromen, die zwischen Meer und Hügel geboren werden.“
Sammeln als anthropologisches Ritual
Das Sammeln von Wildpflanzen ist nicht nur ein gastronomischer Trend, sondern auch ein anthropologischer Akt. Es schafft einen Dialog mit dem Land, dem Mikroklima und der Geschichte selbst. Der Sammler — sei es ein professioneller Koch oder ein lokaler Pflücker — wird zum Vermittler zwischen Natur und Kultur. Goethe schrieb einmal, dass “die Natur nie tot ist, sie flüstert immer,” und genau dieses Flüstern hört der heutige Sammler, während er zwischen Kiefern, Steinen oder Weinbergen im Feld wandert. Kierkegaard hätte vielleicht gesagt, dass das Spargelsammeln eine “Pause vor der Ewigkeit” ist, ein Moment, in dem das Individuum existenzielles Verlangen mit dem greifbaren Geschenk der Erde vereint.
In diesem Sinne ist das Sammeln von Queller an der Küste oder Speierlingsfrüchten vom Hang nicht nur ein praktischer Akt — es ist ein Ritual der Erinnerung und des Eintauchens in die Identität.
Nachhaltigkeit
Mit dem steigenden Interesse stellt sich die Frage der Nachhaltigkeit. Wildpflanzen sind nicht unendlich, und ihre Übernutzung hat bereits in vielen Mittelmeerländern Probleme verursacht. Gesetze regeln nun das Sammeln von Queller, Immortelle und anderen Arten, um Verwüstungen zu verhindern. Ethisches Sammeln bedeutet nicht Verzicht, sondern Ausgewogenheit. Europäische Slow-Food- und hyperlokale Küchen-Bewegungen fördern saisonales und selektives Sammeln. Der wahre Wert des Sammelns liegt nicht in der Menge, sondern in der Qualität und dem Respekt für Ökosysteme. Wenn jeder nur ein paar Zweige Immortelle sammelt, regeneriert sich die Pflanze; wenn ein Van voller industrieller Sammler ankommt, verschwindet die gesamte Landschaft.

Zurück in die Zukunft
Kann die Zukunft der dalmatinischen und istrischen Küche genau durch die Rückkehr zu wilden und gesammelten Zutaten gestaltet werden? Alle Zeichen deuten auf Ja. Junge Köche, Sommeliers und lokale Gemeinschaften organisieren zunehmend Sammel-Workshops, Gastro-Touren durch Olivenhaine und Weinberge sowie Festivals, die einheimischen Pflanzen gewidmet sind.
Die Gastronomie verbindet sich so mit Tourismus und Ökologie und schafft eine neue Art von Luxus — einen, der nicht auf Extravaganz basiert, sondern auf Authentizität und Verbindung mit der Heimat.
Gastro-Trend
Hyperlokale und gesammelte Zutaten in Dalmatien und Istrien sind nicht nur ein vorübergehender Trend, sondern eine kulturelle Revolution, die Pflanzen und Früchte aus der Vergessenheit zurück auf den Tisch bringt und sie von Symbolen der Armut in Zeichen des verfeinerten Geschmacks verwandelt. Wilde Kräuter, Maulbeere, Elsbeere, Kumquat, Immortelle oder Myrte – all das zusammen bildet den „neuen Luxus“ des Mittelmeers: den Luxus der Einfachheit, Authentizität und nachhaltigen Beziehung zur Natur.
In einer Welt, die sich nach Originalität sehnt, zeigen Dalmatien und Istrien, dass die tiefste Inspiration nicht im Exotismus ferner Länder zu finden ist, sondern im Flüstern ihrer eigenen Felder, Trockenmauern und Klippen. Und vielleicht ist es genau diese Rückkehr zu den Wurzeln – das ist der radikalste und modernste Akt, den die mediterrane Gastronomie heute bieten kann.
